Archiv für den Monat: Juli 2013

„PLUSAUFLAGEN“ – Staatskriminalität auf beiden Seiten

KAPITEL 1

Unmittelbar nach der Wende wurden die Ermittlungsbehörden in Berlin von einer Welle der politisch gefärbten Wirtschaftskriminalität in der zusammenbrechenden DDR überrollt. Erst Monate später hatten die Staatsanwaltschaft Berlin, die Unabhängige Kommission und die Treuhandanstalt ihre Strukturen darauf eingestellt und führten breit angelegten Ermittlungen, insbesondere gegen Verantwortliche der SED/PDS durch.

Eines dieser Ermittlungsverfahren hatte gravierende Auswirkungen auf den Aufbau-Verlag. Seine Auswirkungen beschädigten durch die Aufdeckung von vertragswidrig verbreiteten „Raubdrucken“ („Plusauflagen“) durch den Aufbau-Verlag den Ruf des Verlages in der gesamten Branche und führten zum Verlust wichtiger Autorenrechte (z. B. Heinrich Mann) und zu einer ernsthaften Existenzkrise des Verlages, denn Betrug an den eigenen Autoren ist – zu recht – normalerweise das Ende jeder verlegerischen Existenz.

Erst sehr viel später, im Jahre 2006, erhielt der Verleger Bernd F. Lunkewitz durch Einsicht in alte Gerichtsakten beweiskräftige Dokumente, die belegten, dass die Treuhand bereits vor dem Verkauf der Verlage die Existenz der Plusauflagen gekannt und sogar mit der Staatsanwaltschaft und Kripo bei den Ermittlungen kooperiert, aber ihm gegenüber bei Vertragsabschluss und auch später diese Umstände geheim gehalten hatte.

Durch die Entdeckung dieser Dokumente wurde auch klar, dass die kriminelle Treuhandbande noch mehr Mitglieder hatte als bisher angenommen und wahrscheinlich bis in die oberste Führungsspitze der THA reichte. Angewidert von der Niedertracht dieser Mitarbeiter der Treuhand und nach gründlicher Abwägung der Bedeutung dieses Schrittes, der seine bisher unbedingte Solidarität mit der Aufbau-Verlag GmbH, nicht aber mit dem Aufbau-Verlag, beendete, erklärte er am 26.6.2007 die Anfechtung der Kaufverträge mit der Treuhand wegen arglistiger Täuschung (Anlage K 85).

(Anmerkung:

1. die an den systematischen Betrugs- und Untreue- oder Fälschungshandlungen beteiligten Mitarbeiter oder Erfüllungsgehilfen der Treuhandansstalt oder der Unabhängigen Kommission werden hier zusammenfassend als „Treuhandbande“ bezeichnet, um sie von der überwiegenden Zahl der gesetzmäßig handelnden Mitarbeiter dieser Behörden abzugrenzen.

2. Alle in Bezug genommenen Anlagen können im Verfahren „Aufbau-Liquidationsgesellschaft vs. Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben“ unter der jeweils genannten Nummer eingesehen werden.)

Diese verwickelte Kriminalgeschichte der Betrüger in der SED und der „Treuhandbande“, einer kriminellen Vereinigung in der Treuhandanstalt und den anderen beteiligten Behörden, wurde in der Folge der Wende in der DDR im Frühjahr 1990 in Berlin durch die Gründung einer Belvedere GmbH durch Treuhänder der SED ausgelöst. Dieser Gesellschaft übertrug die SED sieben Hotels und überwies ihr zusätzlich 66 Millionen DM als ungesichertes zinsloses Darlehen, ganz offensichtlich in der Absicht, Parteivermögen zu verstecken. Nachfolgend kam es zu hier nicht interessierenden Missbrauch und ungerechtfertigten Zahlungen an Verantwortliche des Unternehmens.

In dem Bericht der Unabhängigen Kommission vom 25.8.1998 (Drucksache 13/10900 des Deutschen Bundestages) ist auf Seite 210 dazu ausgeführt:

„Durch eine Strafanzeige des neuen Geschäftsführers der Belvedere GmbH am 22. November 1990, die zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bei der Staatsanwaltschaft II bei dem Landgericht Berlin führte, erhielten die UKPV und die THA Kenntnis von dieser Gesellschaft und der ursprünglichen Eigentümerstellung der PDS. Nach Prüfung des Sachverhalts teilte die THA am 25. März 1991 allen beteiligten Banken mit, dass die Belvedere GmbH der treuhänderischen Verwaltung durch die THA unterliege.“

Nachdem das Ermittlungsverfahren (1 Bt Js 330/90) ursprünglich nur wegen der Untreuehandlungen gegen die Belvedere GmbH eingeleitet worden war, veranlasste nunmehr die von der Staatsanwaltschaft informierte Treuhandanstalt über ihre beim Vorstand angeordnete „Stabsstelle für besondere Aufgaben“ im Direktorat Recht im Einvernehmen mit der Unabhängigen Kommission weiter gehende Ermittlungsmaßnahmen gegen Verantwortliche der PDS wegen Untreue zum Nachteil des unter der Zwangsverwaltung der Treuhandanstalt stehenden Altvermögens der SED mit dem Ziel, den Verbleib des Parteivermögens aufzuklären.

Am 20. und 21. August 1991 wurden bei Durchsuchungen u. a. der Wohnung und des Büros des damaligen Finanzverwalters der PDS, Herrn Dr. Gerd Pelikan, umfangreiche Unterlagen über das  Parteivermögen der SED/PDS sichergestellt.

Als Zufallsfund sicherte die Kripo dabei auch ein Schreiben vom 28.11.1990 eines Herrn Dieter Lange, Hauptabteilungsleiter im Ministerium für Kultur der DDR, an seinen ehemaligen Vorgesetzten, den langjährigen Leiter der HV Verlage und stellvertretenden Minister für Kultur der DDR, Klaus Höpcke, der in diesen Tagen aus dem Ministerium ausgeschieden und zum Mitglied des Präsidiums der SED/PDS gewählt worden war. Darin erklärte Lange, dass u. a. der Aufbau-Verlag seit Anfang der sechziger Jahre auf Anweisung der SED und der Hauptverwaltung Verlage des Ministeriums zusätzlich zu den mit westlichen Lizenzgebern vereinbarten Auflagenhöhen sogenannte „Plusauflagen“ („im internationalen Sprachgebrauch: RAUBDRUCKE !“ hergestellt hatte.

Die Verlage hatten die dafür anfallenden Honorare – ca. eine Millionen Mark jährlich – zwar an die HV Verlage abgeführt, aber das Geld war nicht – in Devisen – an die westlichen Vertragspartner, sondern an die Hauptkasse des ZK der SED weitergeleitet worden.

Die Staatsanwaltschaft eröffnete umgehend ein weiteres Ermittlungsverfahren u. a. gegen Verantwortliche des Aufbau-Verlages wegen „Verdacht des Betrugs in Tateinheit mit Vergehen nach dem Urheberrechtsgesetz“ (Anlage K 74) und informierte gleichzeitig die „Stabsstelle für besondere Aufgaben“ und bat sie um sachdienliche Auskünfte, da die betroffenen Verlage als Unternehmen der Treuhand geführt wurden.

Die Stabsstelle für besondere Aufgaben wurde von Herrn Dr. Hans Richter geleitet, einem erfahrenen Staatsanwalt aus Stuttgart, der dafür vom Land Baden-Württemberg beurlaubt worden war. Seine Aufgabe war es, die Zusammenarbeit der Treuhand mit den Ermittlungsbehörden bei allen Verdachtsfällen gegen Personen aus dem Bereich der Treuhand oder der zu ihr gehörenden Unternehmen zentral zu koordinieren und die Leitungsebene der Treuhand umfassend zu informieren.

In seiner Position tauschte Dr. Richter zu dieser Zeit fast täglich mündlich und schriftlich ausführlich die jeweils anfallenden Informationen über Verdachtsfälle mit Herrn Kriminaloberrat Uwe Schmitt, dem Ermittlungsführer der Kripo Berlin für solche Straftaten aus.

Herr Dr. Richter hat im Jahre 2013 in einem Telefongespräch erklärt, die damaligen Ermittlungen und Erkenntnisse der Stabsstelle zu den Plusauflagen seien jeweils chronologisch nach Eingangsdatum und Sachgebiet geordnet und „penibel dokumentiert“ worden. Die betreffenden Akten seien getrennt von den sonstigen Akten der Treuhand aufbewahrt worden und auch heute noch vorhanden.

Daher sei es im Prinzip jederzeit sehr einfach festzustellen, wann, von wem und unter welchen Umständen die Treuhand von den Plusauflagen Kenntnis erlangt und welche Maßnahmen sie getroffen habe. Das würde allerdings voraussetzen, dass die Treuhand Einsicht in diese Akten gewährt oder dass die damit befassten Gerichte deren Vorlage anordnen. Die berüchtigte 9. Kammer des Landgerichts Berlin und die Richter des 10. Zivilsenats des Kammergerichts haben das im Verfahren der Aufbau-Liquidationsgesellschaft abgelehnt und in ihren Urteilen auf Seite 24 (LG), bzw. Seite 39 (KG) den Vortrag der Klägerin beiseite gewischt.

Doch bereits aus den im damaligen Strafverfahren gegen Mitarbeiter des Verlages angelegten Gerichtsakten geht hervor, dass Herr KOR (Kriminaloberrat) Schmitt am 2. Oktober 1991 einen Vermerk (Anlage K 74) unterzeichnete, in dem er den bis dahin ermittelten Sachverhalt darlegte und dann feststellte:

Auszug aus Anlage K 74

Auszug aus Anlage K 74

Der zuständige Staatsanwalt Dorsch notierte in seinem Vermerk vom 4.10.1919 (Anlage K 75), dass die Treuhand, Dr. Richter, auf die besondere Eilbedürftigkeit der Ermittlungen hingewiesen habe. Ebenso in dem Vermerk (Anlage K 76) an das Amtsgericht Tiergarten: „die Kripo, Herr Schmitt und die THA, Dr. Richter, wiesen auf die besondere Eilbedürftigkeit hin“ und beantragte den Erlass eines Durchsuchungsbefehls für die Geschäftsräume des Aufbau-Verlages.

Die „besondere Eilbedürftigkeit“ ergab sich allein nur daraus, dass sich die Treuhand zu dem Zeitpunkt, in dem Dr. Richter die Auskünfte an die Kripo erteilte, kurz vor dem Abschluss der Verhandlungen mit den Investoren über den Kauf des Aufbau-Verlages stand und dass die Treuhand diesen Vertrag – trotzt oder sogar gerade wegen der Ermittlungen zu den Plusauflagen – unbedingt abschließen wollte.

Dr. Richter hatte die Kripo laut Vermerk vom 2.10.1991 über Details der Kaufverhandlungen und der Käufer informiert, die er selber nur vom Referat Printmedien der Treuhand erfragte haben kann. Daraus ergibt sich, dass nicht nur der Vorstand der Treuhand, dem Dr. Richter ständig zuarbeitete, sondern auch Mitarbeiter des Referats Printmedien von den Ermittlungen zu den Plusauflagen wussten.

Der am Schluss des Vermerks enthaltene Hinweis auf Herrn Faber und die „vagen Anhaltspunkte“ beleuchten aber auch die westlich geprägte Denkweise der Kriminalisten:

Die Vorstellung, Elmar Faber habe möglicherweise die Beute aus den Plusauflagen irgendwo versteckt und versuche nun über Strohmänner dieses Geld für den Kauf des Verlages zu verwenden, blendet die realen Verhältnisse in der DDR völlig aus. Dass es sich bei den Plusauflagen, die ja in der Zeit vor der Wende stattfanden, um Staatskriminalität (der DDR) handelte, hätte eigentlich jedem klar sein müssen. Zwar gab es auch in der DDR Fälle von Veruntreuung und Betrug durch Privatpersonen, aber es war vor der Wende für Privatpersonen unmöglich, Millionenbeträge zur persönlichen Bereicherung zu ergaunern oder gar unauffällig über Konten abzuwickeln.

In Ihrem Eifer, die Staatskriminalität der DDR aufzuklären und zu bekämpfen, wirkten die wackeren Kämpfer für die staatliche Ordnung der Bundesrepublik nun aber – unbewußt – daran mit, dass es auf der westlichen Seite, bei der Treuhand, zu staatlicher Kriminalität im Fall der Plusauflagen kam:

Die Stabsstelle für besondere Aufgaben war von der Kripo unverzüglich nach dem Fund des Schreibens vom 28.11.1990 über den Verdacht des Lizenzbetruges durch die betreffenden  DDR-Verlag zu Lasten westlicher Lizenzgeber in Höhe von bis zu 30 Millionen DM informiert worden. Dr. Richter unterrichtete seinerseits umgehend den Vorstand der Treuhand über diese politisch, wirtschaftlich und vor allem publizistisch brisanten Umstände. Diese schlechten Nachrichten kamen gerade noch rechtzeitig vor dem Verkauf der Verlage.

Daher verweigerte der Vorstand der Treuhand unter einem Vorwand die Genehmigung des mit seiner Kenntnis in mehreren Wochen verhandelten und vom Direktorat Privatisierung, Referat Printmedien, bereits unterzeichneten notariellen Kaufvertrages vom 18. 9. 1991 (Anlage K 132) mit der BFL-Beteiligungsgesellschaft. Um die laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht zu gefährden, verschwieg die Treuhandanstalt Herrn Lunkewitz, dem Geschäftsführer und Gesellschafter der BFL Beteiligungsgesellschaft, die als Käuferin vorgesehen war, die wahren Gründe für diese Entscheidung.

Der Abteilungsleiter des Referats Printmedien, Herr Clemens Molinari,  erklärte stattdessen Herrn Lunkewitz, der Vorstand stimme dem Kaufvertrag nicht zu, weil er, aus der Immobilienbranche kommend, keine Branchenerfahrung im Verlagsgeschäft habe und daher nicht geeignet sei, den Aufbau-Verlag zu erwerben.

Nach dem Einwand, dass seine Herkunft aus der Immobilienbranche seit Beginn der Verhandlungen bekannt gewesen sei und mit dem seit zehn Jahren den Verlag erfolgreich führenden Verlagsleiter Elmar Faber ein ausgewiesener Fachmann zur Verfügung stehe, und die bisher allein vorgesehene Käuferin, die BFL GmbH, jederzeit weitere Experten aus der Verlagsbranche beteiligen könne, erklärte Herr Molinari, dass bei einer Beteiligung weiterer Fachleute der Verkauf doch möglich sei. Er werde dies mit seinen Vorgesetzten klären. Schon am nächsten Tag signalisierte Herr Molinari das Einverständnis der Treuhand und akzeptierte die vorgeschlagenen weiteren Gesellschafter Dr. Wechsler, Dr. Kossack und Thomas Grundmann. Er erklärte sich bereit – als Kompensation für den Aufwand für den nicht genehmigten Vertragsabschluss in Berlin – den abzuschließenden Änderungsvertrag selbst zu verhandeln und dafür sogar nach Frankfurt kommen.

Am 27.9.1991 kam es in Frankfurt am Main zu den abschließenden Kaufverhandlungen zwischen der Treuhand und den Investoren und der Unterzeichnung des Kaufvertrages gleichen Datums (Anlage K 133).

Es gab dabei nur ein für die Käufer neues Thema: Wenige Tage vorher war überraschend der langjährige Verlagsleiter Elmar Faber von der Treuhand mit sofortiger Wirkung beurlaubt, mit Hausverbot belegt und anschließend fristlos entlassen worden. Dr. Faber schilderte in einem Telefongespräch den Käufern, dass er kurzfristig zur Treuhand einbestellt worden sei, um die dort vorbereitete Erklärung zu unterzeichnen, dass er nie für die Stasi gearbeitet habe. Als er sich weigerte, die Erklärung in der von der Treuhand verlangten Formulierung abzugeben, sei es zu einem Streit gekommen und die Abberufung und Kündigung ausgesprochen worden. Diese Einlassungen konnten die Käufer nicht überprüfen, denn bei den Vertragsverhandlungen in Frankfurt bestätigte zwar Herr Molinari die Entlassung von Herrn Faber, verweigerte aber jede Rechtfertigung. Als Herr Lunkewitz erklärte, die Treuhand könne doch nicht ein Unternehmen verkaufen und anschließend bestimmen, wer dort Geschäftsführer sei, verlangte Herr Molinari den Abschluss einer weiteren Urkunde, mit der die zukünftige Berufung Fabers zum Geschäftsführer des Verlages von der Zustimmung der Treuhand abhängig gemacht wurde.

Auszug aus Vereinbarung Molinari, Lunkewitz

Auszug aus Urkunde Nr. 367/91 des Notars Dr. Paul vom 27.9.1991

Auf Verlangen der Treuhand wurde Herr Faber auch als Gesellschafter des Verlages im Kaufvertrag gestrichen. Damit war, auf Veranlassung der Treuhand selber, der Aufbau-Verlag tatsächlich ohne erfahrene verlegerische Führung, die jedenfalls so schnell auch nicht von dem neuen Verleger selbst hätte geleistet werden können. Das erklärt möglicherweise, warum der Vorstand den Kaufvertrag erst genehmigt hatte, als aus seiner Sicht die Führung des Verlages durch Fachleute aus der Branche gewährleistet war, denn er wollte sich wohl in der nachfolgenden Entwicklung nicht auch noch dem Vorwurf aussetzen, den Aufbau-Verlag ohne kompetente Geschäftsleitung verkauft zu haben.

Den tatsächlichen Grund für die fristlose Entlassung Elmar Fabers war aber nicht eine von der Treuhandanstalt erfundene Stasi-Verstrickung, sondern die den ahnungslosen Käufern unbekannten Erkenntnisse der Treuhandanstalt über die Plusauflagen und das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft, Diese gravierenden Mängel der Kaufsache, die ganz offensichtlich gegenüber den Käufern mitteilungspflichtig waren, erwähnte Herr Molinari nicht. Erst Recht nicht die damals erkennbare Haftung des Verlages aus den Lizenzverstößen in Höhe von bis zu 30 Millionen DM, die allein schon zur extremen Überschuldung des Unternehmens führte.  

In rechtsstaatlichen Verhältnissen ist das (vorsätzliche) Verschweigen solcher gravierender Mängel der Kaufsache ein Eingehungsbetrug zu Lasten der Käufer und führt nach Anfechtung nicht nur zur Unwirksamkeit des Vertrages, sondern kann unabhängig davon mit einer Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft werden. Aber die Treuhand stand damals – und steht heute – über dem Gesetz.

Am 2.10.1991 – am gleichen Tag unterzeichnete Herr KOR Schmitt den Vermerk der Kripo – erklärte Herr Molinari in einem persönlichen Gespräch mit Herrn Lunkewitz, dass der Vorstand der Treuhand die Genehmigung des Kaufvertrages unterzeichnet habe. Als Tag der Übergabe des Verlages wurde einvernehmlich Montag, der 7.10.1991, vereinbart. Das war der Tag vor der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse.

Zusammengefasst ergibt sich bis zum 7.10.1991:

1.     Die Stabsstelle der Treuhand wurde im August 1991 über den Verdacht des Betruges in Tateinheit mit Lizenzvergehen gegen Mitarbeiter des Aufbau-Verlages informiert.

2.     Die Treuhand kannte seither den potentiellen Schaden für den Aufbau-Verlag: bis zu 30 Millionen DM Haftung für Lizenzgebühren, möglicher Verlust von Autorenrechten, unübersehbare Rufschädigung.  

3.     Die Treuhand leistete nachfolgend aktive Amtshilfe bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft.

4.     Die Treuhand entließ – unter einem Vorwand – den aus ihrer Sicht für die Plusauflagen hauptverdächtigten Dr. Faber und hatte deshalb schon vor dieser Maßnahme auf der Beteiligung von „Fachleuten“ bestanden.

5.     Die Treuhand kannte die bevorstehenden weiteren Ermittlungsschritte der Staatsanwaltschaft und deren „besondere Eilbedürftigkeit“, die wiederum in den Verkaufsbemühungen der Treuhand begründet war.

6.     Die Treuhand wusste, dass die Käufer über alle diese Umstände keine Kenntnis hatten und auch nicht haben konnten, da sie diese Umstände vor und bei Vertragsabschluss und auch danach gegenüber den Käufern verschwiegen hatte.

7.     Die Käufer gingen nach Ablauf des bis zum 4.10.1991 vertraglich vereinbarten Rücktrittsrechtes am 7.10.1991 davon aus, dass der Vertrag nunmehr wirksam abgeschlossen und der Kaufpreis zu zahlen ist. Sie freuten sich darauf, den Erwerb des Aufbau-Verlages am nächsten Tag bei der Eröffnung der Buchmesse in Frankfurt zu verkünden und in der Branche auf die guten Perspektiven für die Arbeit des bedeutendsten Verlages aus der DDR hinzuweisen.

KAPITEL 2

Am Morgen des 7.10.1991 durchsuchte die Staatsanwaltschaft Berlin mit großem Polizeiaufgebot die Büros des Aufbau-Verlags in der Französischen Straße 32 und andere Räume in Berlin und informierte die Öffentlichkeit über die Vorwürfe gegen die Verdächtigen, insbesondere gegen den Aufbau-Verlag.

Das bundesweite Medienecho war entsprechend (Anlage K 77). Auf der Frankfurter Buchmesse waren die Lizenzverstöße des Aufbau-Verlages auch bei ausländischen Verlagen das Gesprächsthema und führten sogar zu einem generellen Misstrauen internationaler Verlage in die Zuverlässigkeit deutscher Lizenzpartner. Der Aufbau-Verlag hatte seinen bis dahin guten Ruf in der gesamten Branche verloren. Viele Verleger und Buchhändler ließen das in den folgenden Jahren den Verlag spüren.

Die Pressemeldungen am 7.10.1991 führten auch zu dem Telefonanruf der Unabhängigen Kommision bei der Treuhand, Herrn Molinari, mit dem der Verkauf des Aufbau-Verlages unter den Vorbehalt der Zustimmung der Unabhängigen Kommission gestellt wurde (Anlage K 80). Die Betrugsfälle „Plusauflagen“ und „Eigentum am Aufbau-Verlag“ als gemeinsame kriminelle Handlungen der Treuhandbande waren seither miteinander verknüpft. (siehe: „Treuhandanstalt und die kriminelle Vereinigung).

Am 17.10.1991 erhielt der Notar in Frankfurt die vom Vorstand der Treuhand unterzeichnete Genehmigungsurkunde vom 1.10.1991 für die abgeschlossenen Kaufverträge mit einem Begleitschreiben der Treuhand, in dem sie erklärte, dass „alle zwischenzeitlich den Käufern des Aufbau-Verlages bis heute bekannt gewordenen bzw. bekannt gegebenen weiteren Entwicklungen bei den zu übernehmenden Verlagen als offenbart zu betrachten sind.“ (Anlage 70).

Durch dieses Schreiben, dass offensichtlich der Exkulpierung der Treuhand hinsichtlich der Plusauflagen dienen sollte, hat die Treuhand aber gerade bestätigt, dass sie die Käufer vor und bei Vertragsabschluss nicht über die „Entwicklungen“ informiert hatte. Das war auch insofern konsequent, weil die Treuhand auch später gegenüber den Käufern stets angegeben hatte, von den Plusauflagen und den Ermittlungen dazu nichts gewusst, bzw. erst durch die Durchsuchungsaktion am 7.10.1991 aus der Presse davon erfahren zu haben.

Die Käufer hatten dieses Schreiben von der Treuhand vorab per Fax erhalten. Vertragsgemäß zahlten sie sofort den Kaufpreis in Höhe von 1 Millionen DM und die vertraglich vereinbarten Leistungen an die Aufbau-Verlag GmbH i. A. in Höhe von 3 Millionen DM und antworteten mit Schreiben vom 14.10.1991 (Anlage K 84), in dem sie voller Vertrauen in die Integrität der Treuhand um deren zukünftigen Beistand bei der Bewältigung der möglichen finanziellen Folgen aus den Plusauflagen baten.

Die Käufer kannten – im Gegensatz zur Treuhand – noch immer nicht die potentielle Höhe der Schäden aus den Plusauflagen. Dr. Faber erklärte intern, dass höchstens ein niedriger fünfstelliger Betrag anfallen könnte, so dass die Gesellschaft für den Jahresabschluss 1991 eine Rückstellung in Höhe von DM 100.000 beschloss.

Der neue Verleger Bernd F. Lunkewitz beauftragte umgehend die Geschäftsleitung, den genauen Umfang der Plusauflagen und alle Geschädigten zu ermitteln. Die Staatsanwaltschaft war dazu nicht in der Lage. Sie hatte ohne Kenntnis des Verlagsgeschäfts zwar zahlreiche Akten beschlagnahmt, darunter sämtliche Lizenzverträge, aber die Höhe der Plusauflagen konnte man gerade nicht daraus, sondern aus den nicht beschlagnahmten Unterlagen über Druckaufträge ersehen, die allerdings sehr aufwändig überprüft werden mussten.

Der Verleger entschied, dass der gesamte Umfang der Plusauflagen ermittelt und alle Betroffenen entschädigt werden, auch wenn sie selber bisher von den Lizenzverstößen keine Kenntnis hatten. Statt des von der Treuhand und der Kripo befürchteten „Beweismittelverlusts“ ergab sich also durch den Verkauf des Verlages überhaupt erst die vollständige Aufklärung der Plusauflagen des Aufbau-Verlages. Anfang 1992 lag der erste Bericht der Wirtschaftsprüfer vor:

Die nicht an die westlichen Vertragspartner gezahlten Lizenzgebüren summierten sich allerdings auf mehr als 8 Millionen DM, der daraus drohende Schaden wegen der bei Lizenzverstößen üblichen Strafzahlungen und Zinsen war mehr als doppelt so hoch. Die Realsierung schon dieser Verbindlichkeiten würden sofort zur Überschuldung und damit zur Insolvenz des Aufbau-Verlages führen. Unabhängig davon stellten die Wirtschaftsprüfer fest, dass die in den Kaufverhandlungen angegebenen Bilanzwerte unzutreffend waren, was Wertberichtigungen in Höhe von 7 Millionen DM notwendig machte.

Der Verleger wandte sich telefonisch an den Verhandlungsführer der Treuhand, Herrn Clemens Molinari, und verlangte, dass die Treuhand den Aufbau-Verlag von den Ansprüchen aus den Plusauflagen freistelle und die vereinbarte Entschuldung des Verlages neu verhandelt werden müsse. Die Antwort auf dieses Verlangen war ernüchternd und entlarvte das Selbstverständnis der Treuhand. Herr Molinari erklärte: „Wir verkaufen Chancen und Risiken. Sie haben ein Risiko gekauft. Am Besten machen Sie den Laden dicht.“

Als nach mehreren vergeblichen Versuchen, die Treuhandanstalt zur Hilfe für den Aufbau-Verlag zu bewegen, die Angelegenheit wegen der anstehenden Bilanzaufstellung immer dringender wurde, sandte schließlich am 24.3.1992 der Verleger einen von Rechtsanwalt Schrader entworfenes Schreiben (Anlage K 96) an den Vorstand der Treuhand.

In dem Schreiben wurde unter Bezugnahme auf die Wirtschaftsprüfer des Verlages die wegen der Plusauflagen drohende Überschuldung und damit die Insolvenzreife der Gesellschaft dargestellt und erneut die Abgabe einer – beigefügten – Freistellungserklärung gefordert.  Ohne allerdings dafür irgendwelche Anhaltspunkte oder Belege zu haben, wird in dem Schreiben der Treuhand vorgeworfen, dass sie bereits bei Abschluss der Kaufverträge Kenntnis von den Plusauflagen hatte, diese aber wissentlich den Käufern verschwiegen habe. Damit sei die Geschäftsgrundlage des Anteilserwerbs entfallen.

Erst nach diesen massiven Drohungen mit Insolvenz und Kaufvertragsanfechtung bewegte sich die Treuhand und signalisierte Verhandlungsbereitschaft.  Allerdings stellte sie zahlreiche Bedingungen und bestritt vehement, vor dem 7.10.1991 von den Plusauflagen gewusst zu haben. Nach zähen Verhandlungen zwischen dem Verleger und den Direktoraten Vertragsmanagement und Recht der Treuhand kam es am 24.6.1992 zu der – bedingten – Freistellungserklärung für den Aufbau-Verlag durch die Treuhand (Anlage K 97), die von Herrn Notar Dr. Raue in Berlin protokolliert wurde.    

Diese Vereinbarung enthielt keine direkte und unbedingte Freistellung, sondern letztlich nur eine Übernahme der Gerichts- und Anwaltskosten und den Ersatz von gegen den Verlag ausgeurteilten Schadensersatzleistungen durch die Treuhand. Der Aufbau-Verlag musste sich als Gegenleistung dazu verpflichten, sich selber mit allen rechtlichen Mitteln gegen mögliche Anspruchssteller zu verteidigen und jeden einzelnen Schritt mit der Treuhand abzusprechen. Dies führte zu jahrelangen Prozessen mit Geschädigten, öffentlicher Kritik an der Haltung des Verlegers und behinderte enorm die eigentliche Verlagsarbeit. Die Vereinbarung enthielt zusätzlich eine – von der Treuhand geforderte – Schweigeklausel, die es dem Verleger auch unmöglich machte, den Geschädigten die Hintergründe dieses Verhalten zu erklären.

Der Notar Raue ließ es sich übrigens nicht nehmen, in voller Kenntnis aller von der Treuhand diktierten Regelungen, den Aufbau-Verlag und den Verleger wegen seines rechtlichen Verhaltens öffentlich anzugreifen und als gegnerischer Rechtsanwalt für geschädigte Verlage aufzutreten.

Nachdem mit der bedingten Freistellung für die Plusauflagen durch die Treuhand das Mindestziel des Verlegers, nämlich die Abwendung der Überschuldung der Gesellschaft wegen der Plusauflagen erreicht war, entschloss er sich zu der härteren Gangart gegen diese Behörde.

Bei einer rechtlichen Überprüfung der abgeschlossenen Verträge über den Verkauf der dem Aufbau-Verlag gehörenden Grundstücke in Berlin Mitte, Französische Straße 32 und 33, an die Treuhand stellte er fest, dass im Grundbuch keine Auflassungsvormerkung zu Gunsten der Treuhand eingetragen und darüber hinaus im Kaufvertrag einige Flurstücke falsch bezeichnet waren.

KAPITEL 3

Die Treuhand hatte am 18.9.1991 noch als Gesellschafter der vermeintlichen Aufbau-Verlag GmbH i. A. die Geschäftsleitung des Verlages angewiesen, die Grundstücke und das Verlagsgebäude in der Französischen Straße 32/33 für 8.260.000 DM an die Treuhand zu verkaufen und diesen Betrag mit den von ihr an die GmbH i. A. gegebenen Gesellschafterdarlehen in gleicher Höhe verrechnet. Die Aufbau Verlag GmbH i. A. schloss danach einen 5-Jahres Mietvertrag über die vom Verlag genutzten Flächen in dem Gebäude.

Erst nach diesem Grundstücksverkauf wurde am gleichen Tag der Vertrag über den Verkauf der Geschäftsanteile an der Aufbau-Verlag GmbH i. A. an die BFL GmbH i. G. unterzeichnet (Anlage K 132). Nachdem der Vorstand der Treuhand aber diesen Vertrag zunächst nicht genehmigte, kam der Kaufvertrag über die Geschäftsanteile erst nach Unterzeichnung des Vertrages vom 27.9.1991 (Anlage K 133), der Vereinbarung gleichen Datums über Herrn Faber und dem Zugang der Genehmigungserklärung des Vorstands der Treuhand bei dem Notar in Frankfurt am 17.10.1991 (Anlage K 70) zustande.

Im Frühjahr 1992 stellten die vom Verleger beauftragten Wirtschaftsprüfer des Verlages bei der Bilanzaufstellung fest, dass die Aufbau-Verlag GmbH i. A. zum Zeitpunkt des Grundstücksverkaufs trotzt der nachfolgenden Kapitalzuführung  von mehr als 7 Millionen DM durch den Hauptgesellschafter und unabhängig von dem Risiko der Plusauflagen noch immer um mindestens weitere sieben Millionen DM überschuldet war, weil die beim Verkauf angegebenen Vermögenswerte der Gesellschaft, insbesondere die Verlagsrechte und die Buchbestände, weit weniger wert waren als von der Treuhand angegeben und der Buchabsatz, auch wegen der Plusauflagen, dramatisch eingebrochen war, wodurch weitere Verluste in den folgenden Jahren unvermeidlich waren.

Daraufhin wies der Verleger die Geschäftsleitung an, die noch immer in Eigentum des Verlages stehenden Grundstücke zur Absicherung seiner Darlehen an die Aufbau-Verlag GmbH i. A. mit Grundschulden in Höhe von 20 Millionen DM zu belasten.  Darüber hinaus wurden die Grundstücke für 20 Millionen DM an ein Unternehmen des Verlegers, die Bürohaus GmbH, verkauft und die Auflassung im Grundbuch beantragt. Damit war es für die Treuhand unmöglich, den ersten Kaufvertrag zu vollziehen.

Nachdem die Treuhand über diese Umstände informiert wurde, erwirkte sie eine einstweilige Verfügung des LG Berlin, die den Vollzug des Verkaufs an die Bürohaus bis zu einer gerichtlichen Entscheidung untersagte und verlangte unter massiven Vorwürfen die Rücknahme dieser Anträge. Der Verlag beantragte seinerseits eine einstweilige Verfügung, die den Vollzug des Verkaufs an die Treuhand untersagen sollte und bot der Treuhand an, den von ihr gezahlten Kaufpreis in Höhe von 8 Millionen DM an die Treuhand zurückzuzahlen.

Die Treuhand weigerte sich, dieses Angebot anzunehmen, weil die Grundstücke nachweislich einen wesentlich höheren Verkehrswert hätten, woraufhin der Verleger konterte, dass damit die Treuhand dem Aufbau-Verlag unrechtmäßig erhebliches Kapital entzogen habe, was nach den Vorschriften des GmbH Gesetzes unzulässig und unter dem Aspekt der Untreue zum Nachteil der Gesellschaft möglicherweise auch strafbar sei.

Es kam nunmehr zu Verhandlungen, die schließlich in der Nacht zum 24.11.1992,  vor der an diesen Tag angekündigten gerichtlichen Entscheidung, zu einem notariellen Vergleichsvertrag führten (Anlage B 23).  Zur Aufrechterhaltung und Durchführung der bisher abgeschlossenen Verträge wurde darin im Wesentlichen folgendes vereinbart:

1.     Zur Durchführung und Aufrechterhaltung der abgeschlossenen Kauf- und Abtretungsverträge über die Geschäftsanteile und die Grundstücke zahlt die Treuhand weitere 9 Millionen DM für die Grundstücke des Verlages. Damit erhöht sich deren Verkaufspreis auf 17,26 Millionen DM. Das Grundbuch wird freigemacht und die Grundstücke wurden auf die Treuhand übertragen.

2.     Der bestehende Vertrag über die Freistellung für die Plusauflagen wird aufgehoben. Die Verantwortlichkeit der Treuhand für die Plusauflagen zu Lasten geschädigter westlicher Verlage wird auf 5,2 Millionen DM gedeckelt. Dem Verlag werden alle Verhandlungsmöglichkeiten für Vergleiche mit den Geschädigten eingeräumt. Durch Vergleich erreichte Einsparungen werden 50:50 zwischen der Treuhand und dem Verlag geteilt.

3.     Der Verlag regelt die Ansprüche geschädigter eigener Autoren (ca. 2 Millionen DM) selbst.

4.     Da von – bei diesem Vertragsabschluss nicht anwesenden – Mitgesellschaftern des Verlegers geäußert wurde, dass die bisherigen Verträge mit der Treuhand sittenwidrig seien, werden nunmehr mit diesem Vertrag diese Vorwürfe fallengelassen und zur Sicherheit die Geschäftsanteile erneut an die Investoren abgetreten.

5.     Mit diesem Vertrag sind nunmehr alle gegenseitigen Ansprüche aus der Übertragung der Geschäftsanteile erfüllt. Die Käufer verzichten daher auf alle weiteren Ansprüche, gleich aus welchem Rechtsgrund.

Der Verleger schloss diesen Vergleich, obwohl die Zahlungen der Treuhand um fünf Millionen niedriger sein würden als eigentlich angemessen, aber im Ergebnis des Vergleichs waren erheblich bessere Konditionen der Geschäftsanteilsübertragung für die Käufer erreicht worden.

Der bisherige Verlagsleiter Elmar Faber war vom Verleger bereits entlassen worden, weil er durch die Verantwortung für den Lizenzbetrug durch die Plusauflagen belastet war und darüber hinaus durch sein Schweigen auch nach deren Aufdecken einen Teil des Desasters verursacht hatte. Nach Außen die üblichen „strategischen Differenzen“ angegeben.

Der Aufbau-Verlag brauchte nun Ruhe und der Verleger, der inzwischen persönlich die Leitung des Verlages übernommen hatte, konnte sich auf die Verlagsgeschäfte konzentrieren: eine exzellente Vertriebs- und Marketingmannschaft und Lizenzabteilung wurden aufgebaut und die Programmstruktur der Verlage auf die Bedingungen des Buchmarktes umgestellt und schon bald zeigten sich die ersten Erfolge durch neue Titel, z. B. von Erwin Strittmatter, Christof Hein, Victor Klemperer, Alfred Kerr oder Hans Fallada. Nach der Verstärkung des Lektorats entwickelte sich auch der Verlag Rütten & Loening sehr gut und brachte mit dem Buch von Donna Cross „Die Päpstin“ den ersten Mega-Bestseller der Verlagsgruppe nach der Wende.

Im Frühjahr 2003 kaufte der Verleger über die BFL-Beteiligungsgesellschaft noch die Leipziger Verlagsgruppe um den Gustav Kiepenheuer Verlag von der Treuhand. Diese Geschichte ist ein eigenes Kapitel wert, das aber noch geschrieben werden muss. Nur im Nachhinein ist sehr auffällig, dass in dem Kaufvertrag über diese Geschäftsanteile die Treuhand noch nicht einmal für deren Bestand garantierte. Vom Verleger damals unbemerkt, ist das ein Indiz dafür, dass die Treuhand inzwischen die Probleme der Rechtsnachfolge und Umwandlung der DDR-Verlage in GmbH i. A. erkannt hatte, aber eine generelle Heilung der in diesem Zusammenhang gemachten Fehler – wohl aus Kostengründen – trotzdem nicht durchführen wollte.

 

KAPITEL 4

Erst im Jahre 2009, als nach der Insolvenz und dem Verkauf des Verlages der Rechtsstreit mit der Treuhand erneut begann, und deshalb auch die Akten des Kulturbunds noch einmal gründlich gesichtet wurden, erfuhr der Verleger durch den Fund beweiskräftiger Dokumente, dass die Treuhand auch bei diesem Vertragsabschluss die Käufer betrogen hatte.

Denn in den Akten fanden die beauftragten Anwälte zwei Vermerke der Treuhand, die im Zusammenhang mit den Vergleichsverhandlungen von einem Mitarbeiter der Treuhand angefertigt wurden.

In dem Gesprächsprotokoll vom 20.11.1992 (Anlage K 99) wurde zunächst zutreffend die Sach- und Rechtslage aus der Sicht der Treuhand dargestellt und die vom Verleger beanstandeten wirtschaftlichen Mängel der Kaufverträge aufgrund der mangelhaften Rechte- und Buchbestände, auch durch eigene Prüfer der Treuhand, bestätigt.

Auch die Position des Verlegers hinsichtlich der Plusauflagen wurde – „aufgrund der klaren Rechtslage“ – bestätigt. Trotzdem hatte die Treuhand in der Freistellungsvereinbarung noch den Verlag gezwungen, sich gegen Anspruchssteller mit allen rechtlichen Mitteln zu verteidigen, um die Erfüllung derer gerechtfertigter Forderungen möglichst zu verhindern.  

Aber unten auf Seite 3 des Vermerks wies der Protokollführer, Herr Voelker außerdem darauf hin, dass die abgeschlossenen Kaufverträge aus formellen Gründen, wegen Fehler des Notars, nichtig sind und die Käufer gar nicht Eigentümer der Verlage geworden seien. Wenn dies im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung bekannt würde, müsste die Treuhand allein alle bisherigen Verluste des Aufbau-Verlages selber tragen und die Käufer erhielten alle ihre Investitionen ersetzt.

Um das zu verhindern und den Käufern den größeren Teil der auflaufenen Verluste aufzubürden, beschlossen die Teilnehmer der Beratung, darunter der Vorstand der Treuhand Dr. Wolf R. Klinz und die Direktoren J. N. Braun und Dr. Sinnecker, diese Tatsache zu verheimlichen und möglichst einen Vergleich zu schließen, der auf jeden Fall eine erneute Abtretung der Geschäftsanteile enthalten muss, damit – von den Käufern unbemerkt – die Nichtigkeit des Unternehmenskaufvertrages geheilt werden kann.

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein Käufer arglistig getäuscht wird,  wenn der Verkäufer unter der Verheimlichung der nur vom ihm erkannten Nichtigkeit eines Vertrages den Käufer durch einem Vorwand dazu verleitet, einen neuen Vertrag abzuschließen, um dadurch den ursprünglichen Vertrag unerkannt zu heilen.  Nur bei Prozessen gegen die Treuhand wird diese Rechtsprechung weder vom LG noch vom KG Berlin angewandt, sondern generell die betrügerischen Methoden der THA als „Verfolgung berechtigter Interessen“ bewertet.

Aus der „Sachstandsdarstellung“ vom 20.1.1993 (Anlage K 100), in der die Treuhand ihren gelungen bandenmäßigen Betrug darstellt, geht dann detailliert hervor, dass sich die Betrügerbande in der Treuhand beim Abschluss des Vertrages vom 24.11.1992 vorsätzlich und gezielt über das Prinzip der offenen Verständigung beider Vertragspartner hinweggesetzt hat. Der Verleger wurde durch die wissentlich falsche Behauptung, von Seiten seiner – bei Vertragsschluss nicht anwesenden – Mitgesellschafter seien die bisherigen Verträge als sittenwidrig bezeichnet worden, dazu gebracht, einer erneuten Abtretung der (vermeintlichen!) Geschäftsanteile zuzustimmen.

Hätte ihn die Treuhand wahrheitsgemäß informiert, dass die Käufer wegen der formellen Nichtigkeit der Verträge gar nicht Eigentümer der Verlage geworden waren, hätte er diesen Vergleich allerdings auf keinen Fall abgeschlossen.

Nach der Entdeckung dieser Dokumente kam es im Jahre 2009 erneut zur Anfechtung der mit der Treuhand geschlossenen Verträge wegen arglistiger Täuschung (Anlage K 122, K 123, K137).

Bemerkenswert ist jedoch, dass die Treuhandbande bei der Protokollierung des Vergleichsvertrags am 24.11.1992 und der darin enthaltenen Abtretung der Geschäftsanteile einen weiteren Fehler machte: der Notar hat auch hier die Anlagen zum Vertrag nicht verlesen und damit die Vorschriften des Beurkundungsgesetzes verletzt, was erneut zur Nichtigkeit des Vertrages führt, allerdings nicht in der Berurteilung durch die Berliner Gerichte, die sich eher dem Schutz der THA verpflichtet fühlen, als der Anwendung des Rechts ohne Ansehung der Person.

Die Nichtigkeit des Vergleichsvertrages ergibt sich unabhängig davon allerdings schon daraus, dass die darin (nunmehr vermeintlich formgerecht) abgetretenen Geschäftsanteile an den GmbH i. A. nicht existieren, da die Verlage nicht Volkseigentum waren und folglich nicht nach den Bestimmungen des Treuhandgesetzes in GmbH i. A. umgewandelt werden konnten. Nicht existierende Geschäftsanteile können nach allgemeiner Auffassung auch nicht wirksam abgetreten werden. Allerdings haben auch das sowohl das LG Berlin als auch das KG anders beurteilt.

Die Verheimlichung der Kenntnis von den Plusauflagen und den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft vor, bei und nach Abschluss der Verträge, auch des Vertrages vom 24.11.1992, mit der die Treuhand in arglistiger Weise den Vertragsabschluss erreicht hat, ist nach der Urteilsbegründung der Berliner Gerichte dadurch obsolet, dass nachträglich durch diesen Vertrag einige der Schäden daraus geregelt wurden. Nach dieser Rechtsprechung käme ein Räuber ganz legal mit dem größtenTeil der Beute davon wenn er, des Raubes überführt, für einen kleinen Teil der Beute etwas zahlen würde.

Nach dem hier im Zusammenhang mit den Plusauflagen und dem Vergleichsvertrag vom 24.11.1991 geschilderten Vorgängen zeigt sich, das die kriminelle Bande in der Treuhand tatsächlich bis in deren Vorstand reichte und umfangreichen bandenmäßigen Betrug begangen hat, aber unter dem speziellen Schutz der dagegen angerufenen Berliner Gericht steht.

Bernd F. Lunkewitz